Beobachtungen an Seidenbienen-Ölkäfern Stenoria analis (SCHAUM, 1859)
in einer Kolonie der Efeu-Seidenbiene Colletes hederae SCHMIDT & WESTRICH, 1993
im Botanischen Garten in Gießen in den Jahren 2016 und 2017


© Hans Bahmer, 2017




1.   Einleitung

Im Botanischen Garten in Gießen wurde 1998 auf einer Fläche von etwa 60 Quadratmetern ein künstlicher Sandtrockenrasen mit der für diesen Lebensraum typischen Flora angelegt. Dazu wurde der ursprüngliche Boden bis zu einer Tiefe von etwa 80 Zentimetern entfernt und danach ungewaschener Grabsand aufgefüllt. Hier entdeckte der Autor 2013 die erste und seines Wissens bis heute (2017) einzige bekannte Nistkolonie der Efeu-Seidenbiene für Gießen. Inzwischen konnten schon über 300 einzelne Nester gezählt werden. Die Existenz der Efeu-Seidenbiene wurde für Gießen bereits 2008 von Dr. ULRICH FROMMER nachgewiesen.

Sandtrockenrasen im Botanischen Garten in Gießen Abb. 1: Künstlich angelegter Sandtrockenrasen im Botanischen Garten in Gießen (14.04.2016).


2.   Entwicklungszyklus der Efeu-Seidenbiene Colletes hederae

Die erst 1993 von SCHMIDT und WESTRICH als eigene Art ausgewiesene Efeu-Seidenbiene ist eine von etwa 560 Wildbienenarten in Deutschland. Kennzeichnend und namengebend für diese Art ist die fast ausschließliche Nutzung von Pollen des Efeus (Hedera helix) als Larvennahrung. Die Entwicklung der Larven zu Imagines findet in unterirdischen, mit einem Sekret (Name Seidenbienen!) ausgekleideten Brutkammern statt. Durch die Bindung an blühenden Efeu erscheint diese Wildbiene erst im Spätsommer bis Herbst. Im Beobachtungsgebiet im botanischen Garten waren die Bienen in der Zeit vom 16. August bis 26. Oktober bei ihren Aktivitäten zu sehen.

Entwicklungszyklus der Efeu-Seidenbiene Abb. 2: Entwicklungszyklus der Efeu-Seidenbiene: (a) Weibchen der Efeu-Seidenbiene beim Sammeln von Pollen an Efeu; (b) Männchen der Efeu-Seidenbienen suchen ebenfalls Efeu auf, um dort Nektar zu trinken oder um Weibchen zu treffen; (c) Weibchen gräbt ein Nest. Der Abraum wird rückwärtsgehend nach außen geschafft; (d) zeigt sich ein Weibchen, tauchen sofort zahlreiche Männchen auf, um ihre Paarungschancen zu nutzen. Dabei entstehen sogenannte "Paarungskugeln"; (e) ein Weibchen bringt Pollen in sein Nest, um die Brutkammern mit einem Pollen-Nektargemisch zu füllen, von dem sich die aus den dort abgelegten Eiern geschlüpften Bienenlarven ernähren.


3.   Entwicklungszyklus des Seidenbienen-Ölkäfers Stenoria analis

Der Seidenbienen-Ölkäfer ist ein Kleptoparasit, der sich nachweislich in den Nestern der Efeu-Seidenbienen entwickelt. Nach der Paarung legen die Weibchen ihre Eier in der Regel an Pflanzen in der Nähe von Efeu-Seidenbienenkolonien ab. Aus den Eiern schlüpfen Larven (Dreiklauer, Triungulinen), die sich durch "dreiklauige" Füße auszeichnen. Mit ihrer Klammervorichtung halten sich die Käferlarven an Bienenmännchen fest und gelangen bei Paarungen auf die Weibchen und mit diesen in die Bienennester. Dort entwickeln sie sich auf Kosten des Bienennachwuchses zur neuen Käfergeneration.

Entwicklungszyklus des Seidenbienen-Ölkäfers Abb. 3: Entwicklungszyklus des Seidenbienen-Ölkäfers: (a) Paarungsaktivitäten (09.08.2017); (b) Eiablage an Strand-Grasnelke (Armeria maritima) (13.08.2017); (c,d) im Laufe der Zeit sind an den Eiern bereits von außen Veränderungen zu beobachten (28.08.2017, 01.09.2017); (e) die Käferlarven sind geschlüpft und sitzen teilweise unter den leeren, jetzt weißen Eihäuten (02.09.2017); (f) die Käferlarven ordnen sich so an, dass ihre braunen Köpfe nach außen zeigen (04.09.2017); (g) legt man das Gebilde aus (f) in die Efeu-Seidenbienen-Kolonie, stürzen sich mehrere Männchen auf die Larven, die sich blitzschnell am Bienenkörper festhalten (08.09.2017); (h) ein Männchen der Efeu-Seidenbiene trinkt Nektar auf Doldigem Habichtskraut (Hieracium umbellatum). Auf dem "Rücken" sind mehrere Käferlarven zu sehen (02.09.2017); (i) Paarung der Efeu-Seidenbienen; das Männchen ist von Käferlarven befallen (01.09.2016, Foto: Annelies Polenz); (k) Weibchen der Efeu-Seidenbiene mit Käferlarve (03.09.2016).


4.   Zur Biologie des Seidenbienen-Ölkäfers auf Basis der Beobachtungen im Botanischen Garten in Gießen

Am 7. August 2016 beobachtete der Autor zum ersten Mal ein Exemplar des Seidenbienen-Ölkäfers (Stenoria analis) in der oben erwähnten Kolonie der Efeu-Seidenbienen (Abb. 4a). Bis zum 11. August 2016 zeigte sich jeden Tag ein Käfer. Bei der Ankunft im Untersuchungsgebiet wurde der Autor vom Käfer angeflogen, bevor sich dieser wieder in der dort vorhandenen, typischen Vegetation niederließ (Abb. 4b).

Erste Funde von Stenoria analis Abb. 4: (a) Erster Fund von Stenoria analis im Botanischen Garten in Gießen (07.08.2016); (b) Käfer auf Blütenstand von Eryngium planum (09.08.2016).

In der Aktivitätsperiode der Käfer im Jahr 2017 wurden so viele Käfer gleichzeitig beobachtet, dass sie nicht gezählt werden konnten (mehr als 14 Exemplare). Diese Zahl von Käfern setzte sich auf die Mütze des Autors. Zusätzlich waren weitere Tiere im Luftraum unterwegs. Im Beobachtungsgebiet waren die Käfer vom 7. August bis zum 29. August aktiv.

Paarung

Am 9. August 2017 konnte eine Paarung beobachtet werden. Das Käferpaar hielt sich in der niedrigen Bodenvegetation auf (Abb. 3a).

Eiablage

Es konnten 2017 vier Eiablagen (Abb. 3b, 13.08.2017, Abb. 5a-c, 14.08.2017) beobachtet werden. Zwei Gelege befanden sich auf der Unterseite der verblühten Blütenstände von Armeria maritima (Abb. 3c). Dort waren sie so gut getarnt, dass ein weiteres erst gefunden wurde, nachdem die Larven bereits geschlüpft waren, obwohl das Gelege nur wenige Zentimeter von den bereits bekannten Gelegen an der Pflanze klebte. Ein Weibchen legte seine Eier an die noch geschlossene Blütenstandsknospe von Hieracium umbellatum (Abb. 5a, Abb. 5b) und ein weiteres auf die zwei zusammengehörenden Nadeln einer Kiefer (Pinus nigra, Abb. 5c). Damit befanden sich die Gelege in unterschiedlichen Höhen: 30 cm, 80 cm und 200 cm.

Eiablage von Stenoria analis Abb. 5: (a, b) Eiablage an Habichtskraut (Hieracium umbellatum) (14.08.2017); (c) Eiablage an Schwarzkiefer (Pinus nigra) (14.08.2017).

Gelege

Bei den Eiern handelt es sich um gut ein Millimeter lange, blassbraune längliche Gebilde, die zusammenkleben und das Gelege bilden. Je nach Unterlage ist das Gelege durch seine Farbe mehr oder weniger gut getarnt (Abb. 3c, Abb. 5a-c). Die Eizahl pro Gelege wurde durch Zählen der von außen sichtbaren Eier auf den Fotos ermittelt. Sie gibt somit nicht die tatsächliche Eizahl an, sondern nur einen unteren Wert, da nicht alle Eier auf den Fotos sichtbar sind. Danach bestehen die Gelege mindestens aus 117 Eiern. Ganz allgemein gehört Stenoria analis unter den einheimischen Ölkäfern zu den Vertretern mit den kleinsten Gelegen. Im Laufe der Entwicklung lassen sich von außen Veränderungen im Eiinneren beobachten, die bis zum Schlüpfen der Käferlarven immer mehr zunehmen (Abb. 3c-d). Am 28. August 2017 schlüpften die Larven des Geleges an den Kiefernnadeln, am 2. September an der Strandnelke und am 6. September 2017 am Habichtskraut. Damit dauerte die Entwicklung vom Ei zur Larve zwischen 15 und 24 Tagen.

Gelege von Stenoria analis Abb. 6: (a, b) Larven einen Tag nach dem Schlüpfen (29.08.2017); (c) Anordnung der Larven zwei Tage nach dem Schlüpfen (30.08.2017).

Larven

Die um einen Millimeter großen Käferlarven (Abb. 7a) bilden nach dem Schlüpfen zunächst einen ziemlich ungeordneten Klumpen (Abb. 3e, 6a-b) auf dem noch die leeren Eihüllen zu sehen sind. Nach einem Tag ordnen sich die Larven so an, dass die braunen Köpfe nach außen zeigen (Abb. 3f, 6c). In dieser Phase sind die Larven hoch aktiv, und es ist eine starke, aber feine Bewegung aller Larven zu sehen. Bei Berührung mit einem Pinsel klammern sich sofort einige der Tiere an die Pinselhaare. Um sich an ihrem Wirt festzuhalten, setzen die Larven ihre Füße ein. Jeder Fuß weist eine gebogene Klaue auf und zwei ebenfalls gebogene Borsten. Darauf ist der Name Dreiklauer (Triunguline) zurückzuführen (Abb. 7b). Zusätzlich haben die Triungulinen kräftige Kiefer (Abb. 7c), die besonders dann zum Einsatz kommen, wenn sich die Larven mit senkrecht abstehendem Körper an ihrem Wirt festhalten (Abb. 3h).

Larve von Stenoria analis Abb. 7: (a) Die Larve besteht wie alle Insekten aus dem Kopf mit den Mundwerkzeugen und den Sinnesorganen, der Brust mit den Extremitäten und dem Abdomen; (b) namengebende Klaue; (c) Kopf mit den kräftigen Kiefern.

Wirtsfindung

Film 1: Triungulinen springen auf Colletes über. © 2022 Beatrice Sippel, Verwendung mit Genehmigung.

Darüber, wie die Triungulinen genau in die Wirtsnester kommen, gibt es keine einheitliche Meinung. Fest steht, dass sich die Käferlarven durch ihre Wirte in die Nester transportieren lassen, denn man findet sowohl männliche als auch weibliche Efeu-Seidenbeinen, auf denen Triungulinen sitzen (Abb. 3g-k). Am Beobachtungsort im botanischen Garten erfolgt der Erstkontakt der Larven mit ihrem Wirt sicher nicht über den Blütenbesuch von nektarsuchenden Bienen. Keiner der Larvenklumpen befand sich auf einer Blüte. Die vor den Weibchen schlüpfenden Männchen der Efeu-Seidenbienen halten sich in der Kolonie bei ihren Suchflügen nach Weibchen in der Regel nur wenige Zentimeter über dem Boden auf. Erscheint ein Bienenweibchen, erfolgt gewöhnlich eine sehr heftige Reaktion der Bienenmännchen (Abb. 2d). Um von den Bienenmännchen "abgeholt" zu werden, müssen die Käferlarven irgendwie auf sich aufmerksam machen. Da sowohl bei Honigbienen als auch bei Wildbienen Pheromone bei der Geschlechterfindung eine Rolle spielen, besteht die Möglichkeit, dass die Larven die Fähigkeit haben, solche Stoffe zu produzieren und damit ihre Wirte anlocken (chemische Mimikry). Als weitere Möglichkeit wird eine optische Mimikry ins Gespräch gebracht. Hier müsste die Gesamtheit der Larven eines Geleges mit den nach außen zeigenden braunen Köpfen den Bienenmännchen Bienenweibchen vorgaukeln. Verstärkt wird der Eindruck vielleicht noch durch die Bewegung der Käferlarven, was liebesblinden Bienenmännchen ein sich bewegendes Bienenweibchen vortäuschen könnte (Abb. 8a-c). Bei beiden Anlockmethoden dürften wahrscheinlich nur die Käferlarven eine gute Chance haben, von Bienenmännchen transportiert zu werden, die vor den Bienenweibchen erscheinen. Abbildungen 8c, 8d und 8e zeigen eine Larvengruppe, die auf dem Fruchtstand des Habichtskrautes sitzt und durch dessen Öffnung in kleinere Gruppen aufgeteilt wurde. Unabhängig davon, ob die Anlockung des Wirtes durch chemische Mimikry oder durch optische Mimikry erfolgt, dürfte eine solche Trennung die Anlockwirkung verkleinern. So lässt sich die Frage, wodurch die Männchen der Efeu-Seidenbienen verführt werden, Triungulinen anzufliegen durch die vorliegenden Beobachtungen nicht klären und bleibt weiter offen (Abb. 9a).

Triungulinenansammlungen Abb. 8: (a-c) Triungulinenansammlungen auf Armeria maritima. Die Masse der Larven könnte ein überdimensionales Bienenweibchen (überoptimaler Auslöser) nachahmen; (d-f) Triungulinen sitzen auf dem Fruchtstand eines Habichtskrautes und werden nach dessen Öffnung in kleine Gruppen aufgeteilt.


5.   Besondere Beobachtung

Stenoria analis wurde vom Autor im Botanischen Garten nur deswegen gefunden, weil er von den Käfern regelmäßig angeflogen wurde. Bevorzugt versuchten die Käfer in Mund und Nasenlöcher des Autors zu krabbeln. Als der Autor seinen Kaugummi aus dem Mund nahm und sich auf die Mütze klebte, versammelten sich dort 14 Käfer. Vermutlich handelt es sich um Käfermännchen, die auf der Suche nach Käferweibchen sind. Der Kaugummi enthält möglicherweise Stoffe, die den Käfermännchen die Anwesenheit von Käferweibchen signalisieren (Abb. 9b).

Lockwirkung Abb. 9: (a) Was lockt die Männchen der Efeu-Seidenbienen an? Optik oder Duft – das ist hier die Frage! (b) Was lockt die Männchen von Stenoria analis auf die Mütze?


6.   Literatur

  1. SCHMIDT, K. & WESTRICH, P. (1993): Colletes hederae n. sp., eine bisher unerkannte, auf Efeu (Hedera) spezialisierte Bienenart (Hymenoptera: Apoidea). – Entomologische Zeitschrift 103 (6): 89-112.
  2. WEISER, P. (2016): Aktuelle Beobachtungen des Neubürgers Stenoria analis SCHAUM 1859, in Nordbaden (Coleoptera: Meloidae). – Mitt. Ent. Ver. Stuttgart, Jg. 51, 2016, 63-68.
  3. LÜCKMANN, J. (2017): Zur Verbreitung des Seidenbienen-Ölkäfers Stenoria analis SCHAUM, 1859, in Europa nebst Anmerkungen zur Ökologie und Biologie (Coleoptera: Meloidae). – Band 13, Heft 3, 2017, Herausgeber: Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz e.V., Landau.
  4. VEREECKEN, N. J., MAHÉ, G. (2007): Larval aggregations of the blister beetle Stenoria analis (SCHAUM) (Coleoptera: Meloidae) sexually deceive patrolling males of their host, the solitary bee Colletes hederae SCHMIDT & WESTRICH (Hymenoptera: Colletidae). – Ann. soc. entomol. Fr. (n.s.), 2007, 43(4): 493-496.
  5. MAHÉ, G. (2008): Observations en Loire-Atlantique (France) de Stenoria analis (SCHAUM) (Coleoptera, Meloidae), cleptoparasite de Colletes hederae SCHMIDT & WESTRICH (Hymenoptera: Colletidae). – OSMIA n°2, 2008, 11-15.